DAS BUCH
Illegalität. Phänomen und Funktion
Zusammenfassungen der Kapitel
I. Begriffliche Vorarbeiten
Brauchbare Illegalität ist ein modernes, von Recht und Politik ausgehendes Phänomen, das sich seit der franz. Revolution zunehmend verbreitet. Damit den komplexen Beobachtungsbedingungen von Illegalität mit der angemessenen begrifflichen Komplexität begegnet werden kann, werden zunächst Grundbegriffe und systemtheoretische Analyseinstrumente erarbeitet. Nach einer phänomenologischen Annäherung über ›Grauzonen‹ der Illegalität erfolgt eine theoretische Bestimmung der Begriffe Phänomen und Funktion. Da Illegalität u.a. ein Grenzverletzungsphänomen ist und sich auf Organisationen und Personen bezieht, lässt es sich der globalen Fragestellung von Inklusion und Exklusion zuordnen – mit zusätzlichem Verweis auf die Rolle von Gewalt. Es wird der Bezug von Illegalität zu Recht und Politik und zu Macht und Gegenmacht erörtert und es folgt eine Einführung in die Begrifflichkeit der strukturellen Kopplung, da Gesetze systemtheoretisch als strukturelle Kopplung von Politik und Recht verstanden werden. Daran schließt sich eine erste Sichtung der relevanten Unterscheidungen aus der Kontextur von Illegalität an.
II. Verbotene Realität
Damit Gewalt vermieden und Kommunikation ermöglicht werden kann, müssen Strukturen entstehen, die deutlich machen, unter welchen Bedingungen Kommunikationsangebote angenommen oder abgelehnt werden und wann mit Konformität oder Abweichung zu rechnen ist. Auf Veränderungen kann die Gesellschaft dann mit Lernen reagieren oder mit dem Verbot bestimmter Verhaltensweisen, auch wenn die damit verknüpften Erwartungen immer wieder enttäuscht werden. Entsprechend sind Erklärungen dieser Enttäuschungen meist tautologisch: jemand begeht ein Verbrechen, weil er oder sie ein Verbrecher ist. Da jedoch auch Verbote anschlussfähig sind, bilden sich (je nach Differenzierungsform der Gesellschaft) frevlerische, sündhafte, verbrecherische oder kriminelle Strukturen mit eigenen Formen von Inklusion und Exklusion. Alle diese Abweichungsformen haben gemeinsam, dass sie die Realität der Kommunikation in eine verbotene und eine nicht-verbotene Variante spalten. Die nicht-verbotene bleibt wahrnehmbar und beobachtbar – und die verbotene entzieht sich durch Verheimlichung der Wahrnehmbarkeit und Beobachtbarkeit. So entsteht für die Gesellschaft die Möglichkeit, das Richtige vom Falschen auf doppelte Weise zu unterscheiden, wobei die Option des Verbotenen immer nur unter der Sonderbedingung des Nicht-Bekannt-Werden-Dürfens zu haben ist.
III. Evolution des Verbotenen - Teil I: vom Tabubruch zum Verbrechen
Die Option der verbotenen Realität hat weit zurück reichende Wurzeln. Darum wird Illegalität historisch im Hinblick auf ihre Entstehung und evolutionär im Hinblick auf mögliche Vorformen untersucht – immer in Bezug auf die großen Differenzierungsschübe der Gesellschaft. Teil I der Evolution des Verbotenen bespricht die wichtigsten Abweichungsformen und beginnende Illegalisierungstendenzen, angefangen beim Tabubruch der Stammesgesellschaften, dem Frevel und der kultischen Magie der Stadtgesellschaften Mesopotamiens, über die antiken Großreiche und den Begriff von Sünde und Missethat des Mittelalters, bis hin zur Entstehung der funktionalen Gesellschaft und ihren Verbrechens- und Kriminalitätsbegriff.
IV. Evolution des Verbotenen - Teil II: Kriminalität
Kriminalität ist der Modus, in dem sich die funktionale Gesellschaft im Hinblick auf ihre selbst erzeugten, verbotenen Realitäten beobachtet. Nach einer Analyse der Entstehung des Kriminalitätsbegriffs wird seine Kopplung mit dem esoterischen Begriff der kriminellen Energie besprochen. Die Erzeugung verbotener Realitäten wurde ja als gesellschaftliche Möglichkeit beschrieben, das Richtige vom Falschen auf doppelte und zwar auf entgegengesetzte Weise zu unterscheiden – und demnach wären Verbrechen nichts anderes als verbotene Möglichkeiten des gesellschaftlichen Widerspruchs. Im Anschluss daran kann Kriminalität als ein gesellschaftlicher Versuch verstanden werden, diese durch das Recht verbotene und durch das Verbrechen der Beobachtung entzogene, kanalisierte Selbstwiderlegung der Gesellschaft ihrerseits zu beobachten und zu kontrollieren. Das Formgebungspotential von Kriminalität besteht dann darin, dass sie soziale und psychische Adressen (und deren Biografien) mit einem in die Zukunft reichenden Netz rechtlicher, politischer und moralischer Zuschreibungen überziehen und dadurch Kontrollprojekte initiieren kann – und zwar unabhängig davon, ob die betroffenen Personen und Organisationen Verbrechen begangen haben oder nicht.
V. Zwischenstand: Bedingungen von Illegalität
Verfassung, Gesetz und Staat sind strukturelle Kopplungen von Politik und Recht. Sie kanalisieren damit auch die Inklusion und Exklusion von Personen, Familien und Organisationen. Organisationen nehmen dabei eine zentrale Position ein, da sie für Inklusion zuständig sind, aber auch selbst von Exklusion betroffen sein können. Wenn es beim Übergang zur funktionalen Gesellschaft vermehrt dazu kommt, dass sich durch Grenzverletzungen nicht-verbotene und verbotene Strukturen verketten, kann in bestimmten Situationen nicht mehr unterschieden werden, ob die Ergebnisse formaler Kommunikation rechtmäßig zu Stande gekommen sind oder nicht – und solche indifferenten Situationen werden ab dem 19. Jh. als ›illegal‹ bezeichnet. Mit Zunahme dieser Unterscheidungsprobleme wird im ausgehenden 20. Jh. die Frage relevant, ob bestimmte Formen von Inklusion und Exklusion überhaupt noch auf rechtmäßige Weise durchsetzbar sind. Wenn diese Annahme richtig ist, dann würde Illegalität auf ein nicht-verhinderbares Beobachtungsproblem der funktional differenzierten Gesellschaft verweisen. Nicht verhinderbar deshalb, da die Zunahme von Formalisierung zwangsläufig zu einer Zunahme von Grenzen und Unvereinbarkeiten führt und es genau dadurch erforderlich wird, die damit verbundenen Erwartungen auf informale, kriminelle oder schließlich illegale Weise zu ergänzen, zu umgehen, zu sabotieren oder zu verletzen.
VI. Vorformen von Illegalität
Die Evolutionstheorie der Systemtheorie geht davon aus, dass neue gesellschaftliche Formen immer auf Vorformen basieren und in Strukturen entstehen, in denen sie sich etablieren können. Auch Illegalität taucht nicht voraussetzungslos auf, sondern entwickelt sich allmählich entlang der Konsolidierung von Staatlichkeit. Als Vorformen von Illegalität werden untersucht: Delation und Inquisition im römischen Reich, Schwarzhandel und städtische ›Schenck‹-Praktiken des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die Entdeckung der Nützlichkeit der Schädlichkeit des Verbotenen und die Ausdifferenzierung des Berufsgaunertums. Ebenso werden langsam entstehende Leistungsgefüge von Verbrechen, Kunst, Massenmedien und Illegalität am Beispiel des Schinderhannes aufgezeigt. Und sowohl die im 18. Jh. um sich greifende Literaturzensur als auch die Kopplung des Handels mit Zucker, Sklaven und Fertigprodukten und die Entstehung des Haftbefehls sind aussagekräftige Beispiele für die sich allmählich formierenden Modalisierungsleistungen der Illegalität.
VII. Gesetzlichkeit
Dieses Kapitel ist begrifflich-semantisch ausgerichtet. Es umfasst historisch und evolutionär orientierte Beschreibungen der semantischen Felder von normativ/kognitiv, Gesetz, Gesetzlichkeit, Legitimität, Legalität und ihrer Gegenbegriffe, etymologische Untersuchungen der relevanten Begrifflichkeiten und daran anschließende Formbestimmungen. Eingebunden sind Beobachtungen im Hinblick auf die geschichtliche Veränderung von Inklusion und Exklusion, die Zunahme von Formalisierung und die beginnende Illegalisierung mit dem Entstehen der funktional differenzierten Gesellschaft.
VIII. Sozialismus und Nationalsozialismus – und Illegalität
In ausgeprägten Formen zeigt sich das Phänomen der Illegalität erst im 20. Jh. und zwar im Rahmen der Einparteiensysteme von Sozialismus und Nationalsozialismus. An zwei Beispielen (Rassismus und Planwirtschaft) wird aufgezeigt, wie die beiden politischen Programmatiken auf jeweils unterschiedliche Art und Weise Illegalität erzeugten, nutzten, reproduzierten und schließlich benötigten – und wie sie den Gebrauch in ihren Selbstbeschreibungen ideologisierten. Im Zentrum der Analyse dieser Formen der Illegalität steht in beiden Fällen der (auf verheerende Weise) misslungene Versuch, gesellschaftliche Prozesse durch ein Funktionssystem (Politik) und eine Organisation (die jeweils herrschende Partei) zu steuern.
IX. Erste Beschreibungen von Illegalität
Bis zur Mitte des 20. Jh. finden sich nur zwei Versuche, sich der Unterscheidung Legalität/Illegalität theoretisch anzunähern. Es handelt sich um den politisch ausgerichteten Text »Legalität und Illegalität« von Georg Lukács, welcher der sozialistischen Programmatik verpflichtet ist, und um die rechtspolitische Abhandlung »Legalität und Legitimität« von Carl Schmitt, welcher der nationalsozialistischen Programmatik nahesteht. In Schmitts Abhandlung geht es um Selbstgefährdungen des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates der Weimarer Verfassung. Bezeichnenderweise führten die auf eine Verhinderung von Illegalität abzielenden Vorschläge Schmitts im Rahmen des Nationalsozialismus zur Produktion von Illegalität. Lukács rechtfertigte den Einsatz von Illegalität zur revolutionären Machtübernahme. Dabei blieb jedoch latent, welche Funktion Illegalität nach erfolgter Machtübernahme erfüllen würde. Das lag zum einen am kommunistischen Erziehungsziel der bedingungslosen »Unbefangenheit« gegenüber dem Recht und zum anderen an der damit zusammenhängenden Fehleinschätzung von Legalität und Illegalität als einer kontrollierbaren, taktischen Ressource.
X. Illegalität: Annäherungen an ein Medium
Zentrale Aspekte der modernen Gesellschaft sind ihre Differenzierung in Funktionssysteme, ihre weitgehende Organisierung inklusive der Übernahme von Inklusion und Exklusion durch Organisationen und die politisch-rechtliche Verfasstheit nahezu aller Sozialsysteme. Mit dieser Zunahme von Formalisierung nehmen jedoch auch formale Widersprüche und Unvereinbarkeiten zu. Die Vervielfältigung von Grenzen innerhalb und außerhalb von Sozialsystemen führt zudem zur Ausdifferenzierung von Konvertierungssperren, damit die medialen Leistungen der Funktionssysteme nicht beliebig ineinander übertragbar sind. Die Organisationen der modernen Gesellschaft sind Kopplungsschaltstellen der Kommunikation, d.h. dass nahezu alle Unvereinbarkeiten der Gesellschaft in Organisationen zur Weiterverarbeitung anstehen. Dann sind formal/informale Arrangements nicht mehr ausreichend, da sich an den inneren und äußeren Organisationsgrenzen die funktionsbezogenen Anschlussbedingungen ändern können und graue oder rechtswidrige Medienkonvertierungen erforderlich werden. Im Rahmen dieser personifizierten und interaktionslastigen Kommunikationsverhältnisse herrscht ein ständiger Bedarf nach neuen Formen, nach neuen Kopplungen und nach neuen Formen des Koppelns, die auch Organisationsgrenzen übergreifen können – kurzum: optimale Entstehungsbedingungen für illegale, vernetzte und hybride Formen der Kommunikation.
XI. Einschub: Kommunikationsmedien
Im Laufe der Evolution der Gesellschaft bilden sich für die Unwahrscheinlichkeitsprobleme von Kommunikation transformatorische Einrichtungen, die Kommunikationsmedien: die Verstehensmedien Sinn und Sprache, Verbreitungsmedien wie Schrift, Buchdruck oder EDV und zur Verwahrscheinlichung der Annahme von Kommunikation sogenannte Erfolgsmedien wie Werte, Geld, Wahrheit, Macht, Liebe, Recht oder Glaube. Ein weiteres grundlegendes Problem von Kommunikation, das den bisher genannten zu Grunde liegt und sie zugleich übergreift, ist die Unwahrscheinlichkeit der Formbarkeit von Welt. Dieses Problem wird von Heidermedien (oder Erschließungsmedien) bearbeitet. Erschließung deshalb, da diese Medien und ihre Elemente ausgehend von wahrnehmbaren Formen erschlossen werden müssen. Schließlich lässt sich mit Systemtheorie ein fünfter, neuer Medientyp beobachten, nämlich Modalmedien. Mit Modalisierung können Systeme ihre Beobachtungsweise ändern, indem sie bestehende Formen mit einer zusätzlichen Formgebung (z.B. illegal/legal) versehen, und zwar immer dann, wenn ihre eigenen Bezugsprobleme problematisch werden.
XII. Legalität und Illegalität
Die rechtlich-politische Verfasstheit sozialer Systeme und die Kontrollprobleme, die daran gekoppelt sind, sind zentrale Bezugspunkte für Legalität und Illegalität. Das, was gesellschaftlich an Organisationen übertragen wird und nur von diesen realisiert werden kann, soll rechtlich und politisch kontrollierbar bleiben. Dafür muss die Gesellschaft ihren Organisationen ein gewisses Maß an Illegalität zugestehen, um ihnen umgekehrt vorschreiben zu können, unter welchen Bedingungen dies aufrechterhalten wird. Wir gehen von zwei Medien aus (Legalität und Illegalität), wobei beim Wechsel von Legalität zu Illegalität der positive Wert ›legal‹ zum negativen (zum Reflexionswert) pervertiert und der negative Wert ›illegal‹ zum positiven (zum Anschlusswert). Die Ressource der Illegalität besteht im Nicht-Bekanntwerden-Dürfen, die ihre leistungsstarken Motivationen und Anschlussoptionen generiert. Diese können sich zu Vertrauensnetzwerken mit bestechenden/erpresserischen Potentialen verdichten, die Verhaltensweisen generieren, die ansonsten nicht möglich wären. Ausgeschlossen ist dabei Gesetzlosigkeit, die dennoch berücksichtigt werden muss, damit die Unterscheidung illegal/legal überhaupt getroffen werden kann. Beide Medien verweisen immer auf Recht und Politik und auf deren Getrennt-Sein und Voneinander-Abhängig-Sein. Es können jedoch noch mehr Funktionssysteme beteiligt sein, je nachdem, welche Sachverhalte im Fokus stehen (illegale Märkte, illegale Kunst, illegale Migration usw.).
XIII. Illegalität als Modalmedium
Modalmedien stellen Reaktionsmöglichkeiten bereit, mit denen Systeme auf das Problematischwerden eigener Probleme reagieren können. Im Fokus des Modalmediums Illegalität stehen unvereinbare formale Erwartungen, daraus resultierende Leistungsprobleme und rechtlich-politische Unterscheidungsprobleme. Sie sind Resultat der Problematisierung der rechtlich-politischen Verfasstheit der jeweils beteiligten Systeme. Sobald also Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Durchsetzbarkeit formaler Macht und der kollektiven Verbindlichkeit des formalen Rechts bestehen und darum die Formalisierbarkeit des formalen Erwartens als strukturelle Kopplung infrage steht, kann Illegalität ausgelöst werden oder ist mit ihren Vereinbarkeitsmechanismen bereits in Funktion. Demnach kann Illegalität auch als ein Rückkopplungseffekt verstanden werden, der zwar nicht verhinderbar ist, aber durchaus brauchbar sein kann. Die Funktion des Mediums kann auf der operativen Ebene darin gesehen werden, dass es die Koppelbarkeit von ansonsten nicht-koppelbaren Elementen zu Formen ermöglicht, indem sie unvereinbare, formale Erwartungen durch ihre Verletzung erfüllt. Auf der Ebene der Beobachtung haben wir es mit der Erwartungsverletzung eines Beobachters zu tun, der wider Erwarten auf rechtlich-politische Nicht-Unterscheidbarkeiten stößt. Und der von da aus auf durch Formalisierung erzeugte Unvereinbarkeiten, auf operative Verletzungen der von ihm beobachteten Strukturen und auf ein Medium der Illegalität schließt.
XIV. Funktionale Äquivalente für Illegalität
Funktionale Äquivalente sind Problemlösungen, die dasselbe Problem aber auf andere Weise lösen. Das von mir erschlossene Bezugsproblem der Illegalität besteht aus unvereinbaren, aber gleichermaßen zu erfüllenden Erwartungen, die aus Formalisierungen resultieren. Als Äquivalent werden Schnelligkeit und Gleichzeitigkeit (z.B. Hochfrequenzhandel) vorgeschlagen, die genutzt werden können, um Verrechtlichungen zuvorzukommen, ohne dabei formale Erwartungen verletzen zu müssen. Ein zweites Äquivalent wäre Hybridität, die im Dreieck von Vertrag, Organisation und Netzwerk Formen bildet und zwar bevorzugt dann, wenn Organisationen mit unvereinbaren Erwartungen aus ihrer Umwelt konfrontiert werden, denen sie nicht ausweichen können. Auch mithilfe von Regimekommunikation gelingt es, formal Unvereinbares zu vereinbaren und zwar durch das Zusammenziehen von Uneinheitlichem, aber eben nur sofern es gelingt, dies als beherrschbar und legitim darzustellen und die erforderliche Unterstützung dafür zu mobilisieren. Regimekommunikation eignet sich jedoch auch als Legitimitätsbeschaffer und zur Reflexion von Illegalität. Für nicht formalisierbare Systeme wie Familien und für Nahkommunikation kommt Double Bind Kommunikation in Betracht. Sie löst die Unvereinbarkeitsparadoxie durch Zuschreibung von Selbst-Schuld und durch Doppel- und Mehrfachbindungen von Personen.
XV. Vernetzung, Korruption und Illegalität
Globalisierung erzeugt die grundlegende Unvereinbarkeit, dass Exklusion und Inklusion in Widerspruch zur funktionalen Logik gerät: die Codes der Funktionssysteme gelten und gelten zugleich auch nicht. Dazu kommen Unvereinbarkeiten der Funktionssysteme zueinander: Z.B. stehen der globalisierten Wirtschaft und transstaatlichen Formen von Recht und Macht die Nationalstaaten mit ihren territorial begrenzten Formen von Inklusion und Exklusion gegenüber. Beide Unvereinbarkeiten führen in Kombination mit der Zunahme rechtlich normierter Verfahrensweisen zu einem steigenden Bedarf an Knappheitsübertragungen außer der Reihe. Bestechung und Erpressung sind dafür nicht nur wichtige Motivationsmedien, sondern ermöglichen selbst Grenzüberschreitungen und eigene Formen von Inklusion und Exklusion durch die vertrauliche oder heimliche, verwerfliche oder verbotene Verschränkung von Verfahrens- und Verhandlungssystemen. Bestechung und Erpressung entzünden sich an Knappheiten aller Art, was auch die übergeordnete Knappheit an Übertragungsmöglichkeiten mit einschließt. Sobald sich auf Grund von Verboten Bestechung und Erpressung illegal ineinander verschränken, entsteht ein neues Sozialsystem von hoher Beständigkeit und Bindewirkung, nämlich Korruption, die Illegalität zugleich erfordert und produziert.
XVI. Ordnung der Exklusionen
Beinahe ein Drittel der Weltbevölkerung ist mittlerweile von vielen Leistungen der primären Funktionssysteme ausgeschlossen und muss Negativkarrieren bis hin zur sozialen, psychischen und körperlichen Existenzvernichtung verzeichnen. Diese Exklusionen aus den Leistungsbereichen der primären Funktionssysteme werden zwar von diesen erzeugt, sind dann aber ihrem Zugriff entzogen und können nicht von ihnen geordnet werden, obwohl sich der universale Anspruch der funktionalen Differenzierung auch auf sie erstreckt. Neben neu entstehenden und überaus selektiven Formen der Internationalen Hilfe übernehmen zunehmend informale und offiziell unerwünschte Modi des ›Helfens‹ die Ordnung der Exklusionsbereiche der modernen Gesellschaft. Deshalb scheint sich primär und gesellschaftsweit nicht mehr die Frage nach der rechtmäßigen Durchsetzbarkeit von Inklusion und Exklusion zu stellen. Sondern es geht vielmehr darum, welche Formen von Inklusion und Exklusion überhaupt noch auf legale Weise und kollektiv verbindlich durchsetzbar sind – und welche sich nur noch partikular, informal oder kriminell realisieren lassen, sich dabei als nicht verhinderbar erweisen und sich so im Modus der Illegalität wie von selbst vernetzen, popularisieren, durchsetzen und schließlich legitimieren.